Dickdarm bis Rektum
Gut. 2024;73(8):1292–301
Protective function of sclerosing cholangitis on IBD
Schutzfunktion der sklerosierenden Cholangitis gegenüber der chronisch entzündlichen Darmerkrankung
Zielsetzung: Es besteht eine starke klinische Korrelation zwischen der chronisch entzündlichen Darmerkrankung (CED) und der primär sklerosierenden Cholangitis (PSC), einer chronischen Lebererkrankung, die durch eine Entzündung der Gallengänge charakterisiert ist und zu Strikturen und Fibrose führt. Etwa 60–80% der an PSC Erkrankten entwickeln auch eine chronisch entzündliche Darmerkrankung (PSC-CED). Eine Hypothese zur Erklärung dieser Korrelation besagt, dass die PSC die Entstehung einer CED fördert. Die Autor*innen wollten nun diese Hypothese überprüfen und den zugrunde liegenden Mechanismus entschlüsseln.
Studiendesign: Der Schweregrad der CED wurde im experimentellen Modell an Mäusen mit Colitis und sklerosierender Cholangitis sowie bei Personen mit CED und PSC-CED analysiert. Die Infiltration mit Foxp3+ regulatorischen T-Zellen (Treg-Zellen) wurde durch quantitative Polymerase-Kettenreaktion (qPCR) und Durchflusszytometrie beurteilt. Mikrobiota-Profile wurden anhand der Stuhlproben von Personen mit CED oder PSC-CED und von Mäusen, bei denen diese Erkrankungen simuliert wurden, erstellt. Mikrobiota aus Stuhlproben von Personen mit CED oder PSC-CED wurden in keimfreie Mäuse transplantiert; anschließend wurde eine Colitis-Induktion durchgeführt.
Ergebnisse: Die Autor*innen konnten zeigen, dass die sklerosierende Cholangitis im Mausmodell eine CED abschwächt. Mechanistisch betrachtet verändert die sklerosierende Cholangitis die Zusammensetzung der intestinalen Mikrobiota so, dass eine Expansion der Foxp3+-Treg-Zellen angeregt wird und dadurch ein Schutz vor CED entsteht. Dementsprechend fördert die sklerosierende Cholangitis bei einem Mangel an Foxp3+-Treg-Zellen eine CED. Zudem kommt es bei Personen mit PSC-CED zu einer erhöhten Foxp3+-Expression im Dickdarm, und in der Folge zu einem insgesamt geringeren Schweregrad der CED. Schließlich konnte durch Transplantation fäkaler Mikrobiota auf gnotobiotische Mäuse gezeigt werden, dass Personen mit PSC durch ihre intestinalen Mikrobiota vor Colitis geschützt sind.
Schlussfolgerung: Diese Studie zeigt, dass die primär sklerosierende Cholangitis eine chronisch entzündliche Darmerkrankung mildert und bietet weitgehende Einblicke in die Mechanismen, die hinter dieser Wirkung stecken.
DOI: 10.1136/gutjnl-2023-330856
Dr. Lena Sophie Mayer
Fachärztin Darmambulanz, Klinik für Innere Medizin II, Universitätsklinikum Freiburg
Protektiver Einfluss der primär sklerosierenden Cholangitis auf chronisch entzündliche Darmerkrankungen
Die gegenseitige Beeinflussung von Darm und Leber ist seit einigen Jahren Gegenstand der Forschung. Anatomisch wird die „Darm-Leber-Achse“ durch die Pfortader und das biliäre System, funktional durch das Mikrobiom und zirkulierende Metabolite repräsentiert. Nur eines von vielen Beispielen eines Zusammenhangs zwischen Darm und Leber ist die klinische Assoziation von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) und primär sklerosierender Cholangitis (PSC): Bei circa 60–80% der Patient*innen mit PSC kommt es zum Auftreten einer CED, während nur etwa 5% der Patient*innen mit CED eine PSC entwickeln. PSC führt zu Veränderungen des intestinalen Mikrobioms, was wiederum zur Modulation des mukosalen Immunsystems führt.
Dass PSC-CED im Vergleich zu alleiniger CED mit einer weniger ausgeprägten Entzündung einhergeht und Unterschiede im intestinalen Mikrobiom vorliegen, wurde bereits beschrieben. Diese Beobachtung bestätigten Bedke et al. anhand verschiedener Mausmodelle. Ein fäkaler Mikrobiomtransfer von CED- und PSC-CED-Patient*innen auf keimfreie Mäuse ergab ebenfalls eine geringere Entzündungsaktivität in Gegenwart des PSC-CED-Mikrobioms. Es zeigte sich sowohl im Mausmodell als auch in humanen Mikrobiomsamples eine Anreicherung von Lachnospiraceae bei Vorliegen von PSC-CED. Einschränkungen solcher Analysen liegen jedoch in der Heterogenität der Patientenkohorten, den unterschiedlichen Probenentnahmeorten sowie in Unterschieden der Probenart (Stuhl, Biopsie). Diese Studie zeigt die Anreicherung von Lachnospiraceae aber sowohl in Biopsien als auch in Stuhlproben von PSC-CED-Patient*innen. Die Korrelation zwischen Entzündungsaktivität und Mikrobiota auf der Ebene der Familie ist ebenfalls von limitierter Aussagekraft, da verschiedene Spezies unterschiedliche metabolische Eigenschaften aufweisen, welche sich wiederum pro- oder aber antientzündlich auswirken können.
Mikrobiom und intestinales Immunsystem stehen in ständigem Austausch. Während eine Dysbiose zu einer überschießenden Immunantwort und Schädigung des Darms führen kann, trägt ein günstiges Mikrobiom zur Immunhomöostase bei. So werden auch die Differenzierung und Expansion regulatorischer T-Zellen (Treg), welche für die Limitierung der intestinalen Inflammation eine zentrale Rolle spielen, im Wesentlichen durch das Mikrobiom beeinflusst. In der Tat fanden die Autor*innen im PSC-CED-Mausmodell eine Anreicherung mukosaler Foxp3+-Treg, und eine erhöhte Expression von Foxp3-mRNA war in der Mukosa von PSC-CED-Patient*innen nachweisbar. Dass die Abschwächung der Inflammation im PSC-CED-Modell tatsächlich durch Treg vermittelt wird, konnte wiederum in einem lymphocytopenen Mausmodell gezeigt werden – hier fiel die Entzündung im PSC-CED-Modell in Abwesenheit regulatorischer T-Zellen schwerer aus. Unklar bleibt, wie sich Treg zwischen CED und PSC-CED funktional unterscheiden, und ob deren Expansion direkt in der Mukosa oder aber in der cholestatischen Leber stattfindet. Zudem bleibt offen, ob andere cholestatische Lebererkrankungen oder eine Behandlung mit Ursodesoxycholsäure (UDCA) die Entwicklung einer CED beeinflussen.
Die PSC erhöht das Risiko für das Auftreten verschiedener Malignome. Bei PSC-CED ist das Kolonkarzinomrisiko im Vergleich zum alleinigen Vorliegen einer CED deutlich erhöht und macht jährliche Vorsorgekoloskopien erforderlich. Dass sich das PSC-assoziierte Mikrobiom positiv auf die Entzündungsaktivität auswirkt, wirft wiederum die Frage auf, ob auch das Karzinomrisiko durch Veränderungen des Mikrobioms vermindert werden kann. Dies wurde in der vorliegenden Studie jedoch nicht untersucht.
Zusammenfassend unterstreicht diese Studie, dass das Vorliegen einer PSC das Outcome der CED durch die Modulation des Mikrobioms sowie die Expansion regulatorischer T-Zellen günstig beeinflusst. Detaillierte Mikrobiomanalysen, funktionelle immunologische Analysen sowie Untersuchungen zum Einfluss der Cholestase und ihrer Behandlung auf die mukosale Inflammation sind noch ausstehend. Auch der Einfluss des PSC-Mikrobioms auf das Auftreten von CED-Komplikationen bleibt noch unklar. Aktuell ergibt sich aus der Studie noch keine direkte Anwendungsempfehlung für die klinische Praxis. Mikrobiom- oder immunologische Analysen sind bisher noch ohne therapeutische Konsequenz und sollten daher nicht routinemäßig erfolgen. Der fäkale Mikrobiomtransfer als mögliche Therapieoption für CED-Patient*innen mit und ohne begleitende PSC ist aber bereits Gegenstand klinischer Forschung. Somit sind Studien wie diese zur Verbesserung der Patientenversorgung von besonderer Bedeutung.