Leber und Gallenwege
Hepatology. 2024;80(2):376–88
Tranexamic acid in upper gastrointestinal bleed in patients with cirrhosis: A randomized controlled trial
Tranexamsäure bei oberer gastrointestinaler Blutung bei Patient*innen mit Zirrhose: eine randomisierte kontrollierte Studie
Hintergrund und
Ziele: Patient*innen mit Child-Turcotte-Pugh-Zirrhose der Klasse B und C mit oberer gastrointestinaler Blutung (OGIB) haben eine systemische sowie (in der Schleimhaut des Ösophagus und Magens) lokalisierte Fibrinolyse. In dieser Studie sollten die Wirksamkeit und Sicherheit von Tranexamsäure bei der Behandlung der akuten OGIB bei Patient*innen mit Zirrhose untersucht werden.
Ansatz und
Ergebnisse: Insgesamt 600 Patient*innen mit fortgeschrittener Leberzirrhose (Child-Turcotte-Pugh-Klasse B oder C), die eine OGIB hatten, wurden nach dem Zufallsprinzip entweder der Tranexamsäure-Gruppe (n = 300) oder der Placebo-Gruppe (n = 300) zugewiesen. Der primäre Zielparameter war der Anteil an Patient*innen, bei denen es nach 5 Tagen zu einem Therapieversagen kam. Bei 19 von 300 (6,3%) Patient*innen in der Tranexamsäure-Gruppe und 40 von 300 (13,3%) Patient*innen in der Placebo-Gruppe (p = 0,006) konnte die Blutung bis Tag 5 nicht gestillt werden. Bei 11 von 222 (4,9%) Patient*innen in der Tranexamsäure-Gruppe und 27 von 225 (12,0%) Patient*innen in der Placebo-Gruppe (p = 0,005) wurde die Stelle der endoskopischen Varizenligatur (EVL) als Ursache für das Versagen der Blutstillung bis Tag 5 bei Patient*innen mit erstmaliger EVL des Ösophagus (ausgenommen Patient*innen mit einem früheren Post-EVL-Ulkus als Blutungsquelle) gesehen. Die 5-Tages- und 6-Wochen-Mortalität war allerdings in der Tranexamsäure-Gruppe und der Placebo-Gruppe ähnlich.
Schlussfolgerungen: Tranexamsäure verhindert eine Blutung aus der Stelle der endoskopischen Varizenligatur und reduziert so signifikant das Versagen der Blutstillung bis Tag 5 und das Versagen, eine erneute Blutung nach Tag 5 bis 6 Wochen bei Patient*innen mit fortgeschrittener Leberzirrhose (Child-Turcotte-Pugh-Klasse B oder C), die eine obere gastrointestinale Blutung hatten, zu verhindern.
DOI: 10.1097/hep.0000000000000817
PD Dr. Michael Schultheiß
Leiter Interdisziplinäres Ultraschallzentrum und Klinischer Leiter der Sektion TIPS, Klinik für Innere Medizin II, Universitätsklinikum Freiburg
Sollte die Tranexamsäure im therapeutischen Algorithmus bei Varizenblutung Einzug finden?
Patient*innen mit Leberzirrhose sind in besonderem Maße von gastrointestinalen Blutungen betroffen. Obwohl in der Fachinformation zur Tranexamsäure-Injektionslösung „gastrointestinale Blutungen“ als mögliches Anwendungsgebiet genannt werden, ist die Datenlage aber bei Patient*innen mit Leberzirrhose schlecht. Deshalb ist die vorliegende Studie von Kumar et al. eine wichtige wissenschaftliche Ergänzung zur Anwendung von Tranexamsäure bei Patient*innen mit oberer gastrointestinaler Blutung und Leberzirrhose im Stadium Child-Pugh B und C.
Das Studienergebnis ist erfreulich, möglicherweise aber auch erwartet: In der Interventionsgruppe mit Tranexamsäure konnte eine höhere und statistisch signifikante Blutungskontrolle zu Tag 5 (6,3% vs. 13,3%; p = 0,006) und nach 5 Tagen (12% vs. 21,3%; p = 0,002) erreicht werden. Ein besonderer Schwerpunkt der Studie lag auf Varizenblutungen, da diese in beiden Gruppen in > 85% der Fälle ursächlich für die oberen gastrointestinalen Blutungen waren. Bei Nachblutungen aus ösophagealen Ligaturulcera profitierten die Patient*innen ebenso von der Anwendung der Tranexamsäure zu Tag 5 (4,9% vs. 12%; p = 0,005) und nach Tag 5 (8,5% vs. 16,4%; p = 0,007). Ein statistisch signifikanter Überlebensvorteil konnte durch den Einsatz der Tranexamsäure aber im bis 6-wöchigen Verlauf nicht erreicht werden.
Trotz der hohen Relevanz für den klinischen Alltag hat die Studie unübersehbare Schwächen. So ist zwar nachvollziehbar, dass auch in Indien die Leberzirrhose häufiger Männer betrifft – ein Geschlechterverhältnis von fast 9:1 ist aber erstaunlich. Der präemptive transjuguläre intrahepatische portosystemische Shunt (TIPS) findet – obwohl gerade in der hier untersuchten Patientenkohorte mit Varizenblutungen durch die Baveno-Leitlinie empfohlen – kaum Anwendung (1,6% und 1,3%). Interessant wäre es, das Risiko für TIPS-Verschlüsse durch Thrombosen unter Tranexamsäure zu evaluieren. Zudem fällt auf, dass die Pfortaderthrombose (PVT) ein Ausschlusskriterium war, aber Patient*innen mit einem hepatozellulären Karzinom (HCC) und maligner PVT in doch relevanter Häufigkeit (7% und 9%) eingeschlossen wurden.
Prokinetika, Antibiotika und vasoaktive Substanzen sind bei Patient*innen mit Leberzirrhose und Varizenblutung unerlässliche Medikamente. Es benötigt weitere Studien, um einzuschätzen, ob dies auch für die Tranexamsäure zutrifft.