Ausgabe
4/2022
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Editorial

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

zur Gewichtsreduktion wird häufig das sogenannte Intervallfasten empfohlen, bei dem zu definierten Tageszeiten auf die Nahrungsaufnahme verzichtet wird. In einer randomisierten Studie an Patient*innen mit Adipositas war ein solcher Ansatz mit beschränkter Nahrungsaufnahme zwischen 8 und 16 Uhr jedoch nicht wirksamer zur Gewichtsreduktion als eine alleinige Kalorienrestriktion ohne zeitliche Beschränkung. Auch ergaben sich keine Unterschiede im Hinblick auf Nebenwirkungen der Diät sowie auf metabolische Risikofaktoren (Liu et al.). Übergewicht ist auch ein wichtiger Risikofaktor für eine Refluxösophagitis, für die neben medikamentösen und chirurgischen Verfahren zunehmend auch endoskopische Therapieansätze evaluiert werden. So konnte in einer Pilotstudie durch eine endoskopische Vollwandplikatur bei Patient*innen mit symptomatischer Refluxösophagitis im Vergleich zu einer Scheinbehandlung kurz- und langfristig eine deutliche Besserung der Lebensqualität und der Refluxbeschwerden erreicht werden (Kalapala et al.). [...]

Bei der Behandlung chronisch entzündlicher Darm­erkrankungen (CED) werden seit einigen Jahren zunehmend Therapiealgorithmen untersucht. So konnte in der CALM-Studie für Morbus Crohn gezeigt werden, dass durch eine regelmäßige Objektivierung der Krankheitsaktivität mittels Calprotectin und C-reaktivem Protein und gegebenenfalls nachfolgender Therapieeskalation die Ansprechraten auf eine Therapie mit Adalimumab verbessert werden können. In einer vergleichbaren Studie mit Ustekinumab (STARDUST) führte eine frühe Dosisintensivierung basierend auf endoskopischen, klinischen und laborchemischen Endpunkten (Treat ­to­ Target, T2T) im Vergleich zu einer Standardtherapie jedoch nicht zu signifikant besseren endoskopischen Endpunkten nach 48 Wochen. Weitere Auswertungen müssen nun zeigen, ob ein T2T-Ansatz mit Ustekinumab vielleicht doch für definierte Subgruppen von Patient*innen von Nutzen sein könnte (Danese et al.). Für die endoskopische Darmkrebsvorsorge werden zunehmend Technologien eingesetzt, die mittels Maschinenlernen und künstlicher Intelligenz die Adenomdetektionsrate (ADR) verbessern sollen. Hierbei stellt sich die Frage, ob diese Ansätze für erfahrene Untersucher*innen ebensolchen Nutzen haben wie für endoskopische „Noviz*innen“. In einer italienischen Studie führte die computerunterstützte Polypendetektion auch bei Untersucher*innen mit wenig Endoskopie-Erfahrung zu einer signifikant besseren ADR. Zudem ließ der Vergleich mit Studienergebnissen von erfahrenen Endoskopiker*innen vermuten, dass die endoskopische Erfahrung hierbei nur eine untergeordnete Rolle spielen dürfte (Repici et al.). Die Inzidenz kolorektaler Karzinome (KRK) nimmt in vielen Ländern auch bei jüngeren Menschen deutlich zu, weshalb der Identifizierung von Risikofaktoren eine große Bedeutung zukommt. Die Auswertung einer deutschen populationsbasierten Fallkontrollstudie belegt, dass die Adipositas im jungen Erwachsenenalter einen signifikanten Risikofaktor für das frühe Auftreten von KRK darstellt (Li et al.).

Bei akuter nekrotisierender Pankreatitis mit biliärer Genese stellt sich im klinischen Alltag häufig die Frage, zu welchem Zeitpunkt die notwendige Cholezystektomie erfolgen sollte. Die Auswertung einer prospektiven Patientenkohorte mit biliärer nekrotisierender Pankreatitis in den Niederlanden ergab, dass eine Cholezystektomie idealerweise innerhalb von 8 Wochen nach Entlassung durchgeführt werden sollte, wenn im Rahmen der nekrotisierenden Pankreatitis keine peripankreatischen Flüssigkeitsansammlungen vorliegen (Hallensleben et al.). Die Vermeidung postoperativer Komplikationen nach Pankreasresektion hat im klinischen Alltag ebenfalls eine große Bedeutung. Durch eine standardisierte postoperative Nachsorge mithilfe eines Algorithmus zur Früherkennung und Behandlung von postoperativen Komplikationen konnte in einer landesweiten Studie in den Niederlanden die postoperative Mortalität fast halbiert und das Auftreten von Organversagen und Blutungskomplikationen signifikant verringert werden (Smits et al.). Solche strukturierten Ansätze sollten daher weiterentwickelt und umgesetzt werden.

Neue Substanzen zur Therapie der chronischen Hepatitis B mit dem Ziel einer „funktionellen Heilung“ (Hepatitis-B-Oberflächenantigen [HBsAg]-Negativierung) lassen aktuell noch auf sich warten, die Chance einer funktionellen Heilung besteht jedoch aktuell schon durch die STOP-NUC-Strategie. Leitliniengerecht kann bei Hepatitis-B-e-Antigen (HBeAg)-negativen Patient*innen ohne fortgeschrittene Fibrose/Zirrhose eine mehrjährige Nukleosid-/Nukleotidanaloga (NUC)-Therapie unter engmaschiger Kontrolle abgesetzt werden. Bei einem beträchtlichen Teil der Patient*innen kommt es dann zu einer vermutlich immunvermittelten HBsAg-Elimination. Zwei große aktuelle Kohortenstudien mit jeweils mehr als 1000 Patient*innen zeigen, dass ein niedriger HBsAg-Spiegel (< 1000 IE/ml, v. a. bei Asiat*innen noch besser < 100 IE/ml) sowie (sofern verfügbar) ein negatives Hepatitis-B-Core-related Antigen (HBcrAg) vor Beenden der NUC-Therapie gute Prädiktoren für eine funktionelle Heilung sind (Hirode et al.; Sonneveld et al.). Bei der Therapie des fortgeschrittenen hepatozellulären Karzinoms (HCC) hat die Kombination von Atezolizumab plus Bevacizumab seit mehr als einem Jahrzehnt erstmals einen Überlebensvorteil gegenüber Sorafenib gezeigt und dieses als Erstlinientherapie de facto abgelöst. In der Zulassungsstudie IMbrave150 war das Gesamtüberleben der Patient*innen mit Atezolizumab plus Bevacizumab erfreulicherweise so gut, dass das mediane Gesamtüberleben nicht erreicht wurde. In einer aktuellen Arbeit wird über die verlängerte Nachbeobachtung der Studienpatient*innen berichtet: Das mediane Gesamtüberleben betrug dabei 19,2 Monate (95% Konfidenzintervall [CI]: 17,0–23,7) mit Atezolizumab plus Bevacizumab versus 13,4 Monate (95% CI: 11,4–16,9) mit Sorafenib (Cheng et al.). Somit wird nochmals deutlich, dass die noch relativ neue Immuntherapie die Prognose des HCC deutlich verbessert.

Wir wünschen Ihnen eine spannende und anregende Lektüre dieser Ausgabe des Falk Gastro Review Journals und wünschen Ihnen einen sonnigen Herbst!

Mit besten Grüßen

Ihre

Christoph Neumann-Haefelin

Peter Hasselblatt

Aktuelles aus der Literatur in dieser Ausgabe

Wirksamkeit der Kapselendoskopie und Doppelballon-Enteroskopie bei Verdacht auf komplizierte Zöliakie

Clin Gastroenterol Hepatol. 2022;20(4):941–9.e3

Einfluss von Gluten bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit gastrointestinalen Beschwer-den: eine verblindete randomisierte Cross-Over-Studie

Aliment Pharmacol Ther. 2022;55(9):1116–27

Zwei Inzidenzwellen für Zöliakie in Schweden: eine landesweite populationsbasierte Kohortenstudie zwischen 1990 und 2015

Gut. 2022;71(6):1088–94

Verzögerte Magenentleerung als unabhängiger Prädiktor für die Sterblichkeit bei Gastroparese

Aliment Pharmacol Ther. 2022;55(7):867–75

Lang anhaltende Diskrepanz von Ösophagus-Eosinophilie und Symptomen nach endoskopischer Dilatation bei Erwachsenen mit eosinophiler Ösophagitis

Clin Gastroenterol Hepatol. 2022;20(4):766–75.e4

Budesonid-Schmelztabletten zur Induktion einer Remission bei Patient*innen mit aktiver eosinophiler Ösophagitis: eine 6-wöchige offene Studie des EOS-2-Programms

United European Gastroenterol J. 2022;10(3):330–43

Prävalenz und Prädiktoren einer übersehenen Dysplasie in einer Endoskopie, bei der erstmalig die Diagnose eines Barrett-Ösophagus gestellt wurde: eine Studie in einer Veteranenpopulation

Clin Gastroenterol Hepatol. 2022;20(4):e876–89

Klinische und endoskopische Charakteristika im Zusammenhang mit Post-Endoskopie-Karzinomen des oberen Gastrointestinaltrakts: ein systematisches Review und Metaanalyse

Gastroenterology. 2022;162(4):1123–35

Der Schweregrad einer intestinalen Metaplasie im Magen erlaubt Vorhersagen des Magenkarzinom-Risikos: eine prospektive multizentrische Kohortenstudie

Gut. 2022;71(5):854–63